Mein Weg in der weißen Welt des Balletts
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Der kubanische Startänzer Osiel Gouneo hat eine Karriere gemacht, wie sie in der Ballettwelt noch vor einem Jahrzehnt undenkbar schien. Jetzt erscheint seine Autobiografie.
Oslo, 2014: Osiel Gouneo, noch keine 25 Jahre alt und schon Spitzensolist des Norwegischen Nationalballetts, soll John Crankos „Onegin“ proben. Es gibt drei weitere - weiße - Besetzungen für seinen Part, die ihre Eignung unter Beweis stellen dürfen. Nicht so Gouneo. Unter Protest verlässt der Kubaner den Raum. „Ich weiß, Rassismus ist ein großes Wort“, erklärt Münchens umschwärmter Star-Ballerino in seiner Autobiografie „Black Romeo“. Dennoch und trotzdem gilt: „Auch ich habe ihn in Europa erlebt.“ Und zwar mehr als einmal.
Das „Onegin“-Trauma wiederholt sich, als Gouneo 2015 den Liebhaber in „Manon“ von Kenneth MacMillan tanzen soll. Was die Witwe des Choreografen zu verhindern weiß. Ein Schwarzer, PoC, ein Mann mit dunkler Hautfarbe als Bühnen-Liebhaber einer hellhäutigen Ballerina? Noch vor einem Jahrzehnt schien das nicht nur für Lady MacMillan undenkbar. Inzwischen sind Rassismus und Klassismus auch in der Ballettwelt nicht mehr selbstverständlich. Nicht zuletzt dank charismatischer Tabubrecher wie Osiel Gouneo, der seit seinem Münchner Debüt 2016 einen Triumph nach dem anderen feiert.
Technische Brillanz und darstellerisches Genie
Ob kraftvoll oder filigran, lyrisch oder expressiv - jeder seiner Heldenauftritte verbindet technische Brillanz mit darstellerischem Genie. Gouneo hat sich als Tanzmarke etabliert und tut es nun Fußballikonen gleich, indem er das eigene Image steuert: Mit „Black Romeo“ erzählt der Mittdreißiger die Geschichte seiner kubanischen Herkunft und seines Gipfelsturms - Überwindung rassistischer Hindernisse inklusive.
Assistiert von dem Journalisten Thilo Komma-Pöllath, nimmt sich Gouneo in dem Buch auch seine eigene Bubble zur Brust: die Ballettwelt, die einerseits total globalisiert, andererseits mit Kleingeistigkeit, hierarchischer Hybris und Traditionsfetischismus geschlagen ist. Missstände, die der Tänzer klug kritisiert, wobei er hier und da vielleicht allzu subjektiv urteilt. Etwa, wenn er die klassikerselige Repertoire-Politik - „die Dauerbrenner“ à la „Schwanensee“ - infrage stellt, aber Stereotype wie den „Mohr“ in Strawinskys „Petruschka“ ausschließlich unter Besetzungsaspekten diskutiert: Typecasting hin, Blackfacing her, was will uns die Figur eigentlich sagen?
Erhellend sind seine Ausführungen zum Thema Selbstzensur. Aber wird, wie er meint, tatsächlich „der Mut immer kleiner“? Ob queer, ob PoC - es sind doch gerade couragierte Minderheiten, die für die Neubewertung historischer Stoffe sorgen. Nicht zuletzt gehört Gouneo selbst zu diesen Pionieren, spätestens seit er sich 2019 an Daniel Proiettis „Rasa“-Inszenierung beteiligt hat: am Versuch, den Klassiker „La Bayadère“ von zaristischen Kolonialfantasien zu befreien und radikal zeitgenössisch zu deuten. Fazit: Wann immer der Modernisierungsstau des Balletts in Sicht kommt, lehnt sich Gouneo in „Black Romeo“ weit, aber nie zu weit aus dem Fenster.
Widersprüchlich bleibt auch das Bild, das der Tänzer von Igor Zelensky zeichnet, seinem einstigen Mentor in München. Der Russe, der 2015 an die Spitze des Bayerischen Staatsballetts rückte, holte Gouneo ans Haus und bescherte ihm mit dem sowjetgestählten Sklavendrama „Spartakus“ einen Sensationserfolg. Umgekehrt geht der einstige Schützling nun der einen oder anderen Selbststilisierung des früheren Chefs auf den Leim. Denn alles, was sich Zelensky als „künstlerische Erneuerung“ gutschrieb, bis hin zum Anspruch, „das Althergebrachte mit der Avantgarde zu versöhnen“ - all das gehört zur Matrix des Bayerischen Staatsballetts und gedieh schon unter dem Vorgänger Ivan Liška prächtig.
Und hätte Zelensky es wie Osiel Gouneo gehalten und dem Kremlherrn Wladimir Putin nur ein paar Mal die Hand geschüttelt - er wäre immer noch Münchner Ballettdirektor. Stattdessen unterhielt er familiäre Verbindungen und verdingte sich als Kulturberater auf der annektierten Krim. Diese Nähe zur Macht kostete ihn das Amt. Abgesehen davon kniff er, als Gouneo den schneeweißen Hasen in Christopher Wheeldons „Alice in Wonderland“ tanzen wollte, und bot ihm ersatzweise die harmlose Rolle des Gärtnerjungen an. Der Düpierte kreidet es ihm erstaunlicherweise nicht an.
So weit die blinden Flecken in Osiel Gouneos „Black Romeo“. Jenseits davon hat das Buch große Stärken, etwa wenn es allgemein um den Beruf des Tänzers geht, der ein Knochenjob ist; oder um die Zukunft der Tanzkunst, die mit sich selbst, ihrem Erbe, dem Dauerspagat zwischen Drill und Kreativität ringt. Im Übrigen hat Gouneo die Gespenster seiner Vergangenheit besiegt: Vor zwei Jahren tanzte er schließlich doch noch den Onegin in Oslo und erlebte „pures Glück“. Er hat es selbst geschmiedet - und dafür jede Bewunderung verdient.
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