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“Drei ostdeutsche Frauen betrinken sich und gründen den idealen Staat“ - klingt wie ein Witz, ist aber ein lesenswertes Langgespräch über Prägung, Sein und Zukunft im Osten.
Nachdem eine Wutbibel des Leipziger Literaturprofessors Dirk Oschmann den Ost-Diskurs erwartungsgemäß lange bestimmt hatte, keimte zuletzt die Frage, wie und womit dieser Diskurs endlich fortzusetzen sei - in einem Jahr wohlgemerkt, in dem ein brenzliger Geruch schon jetzt die wichtigen Landtagswahlen im Herbst ankündigt und in dem sich außerdem der Mauerfall seinem nächsten halbrunden Jubiläum entgegenschleppt. Ob er, der Mauerfall, wohl gerade nachts wach liegt und überlegt, ob er überhaupt feiern und wen er dazu einladen will?
Wenn an Schlaf nun aber eh nicht zu denken ist, dann kann man auch gleich ein Buch lesen, zum Beispiel den in umfassender Weise erfrischenden Gesprächsband „Drei ostdeutsche Frauen betrinken sich und gründen den idealen Staat“ (im Folgenden: „DoFbsugdiS“). Diese drei ostdeutschen Frauen sind die 1964 in Magdeburg geborene Schriftstellerin Annett Gröschner, die 1976 in Dresden geborene Autorin und Dramaturgin Peggy Mädler und die 1978 in Rostock geborene Künstlerin und Sozialwissenschaftlerin Wenke Seemann. Sie haben sich sozusagen freiwillig kollektiviert und eine sogenannte fixe Idee des Hanser-Lektors Florian Kessler aufgegriffen, deren Weltwerdung in einer letzten Fußnote des nun erscheinenden Buches fein skizziert wird. Kessler habe, heißt es da, auf einem Spielplatz eine Kindergartenkinder bestehlende Krähe beobachtet - und dann auch noch den Titel mitgeliefert, gegen den nun wirklich mal rein gar nichts einzuwenden ist.
Trinkbranntwein der Sorte „Kumpeltod“ bleibt den Autorinnen zum Glück erspart
Wobei das Betrinken schneller abzuhandeln ist als die Suche nach dem idealen Staat. In der DDR hatten die Menschen, wie die taz einmal feinfühlig anmerkte, „gesoffen wie die Löcher“ und nicht nur dort, „wo es am schönsten war, sondern schlicht da, wo noch Stühle frei waren“. Es gab „Primasprit“ und Trinkbranntwein, den der Volksmund mit bereits schwerer Zunge „Kumpeltod“ taufte. Es gab auch die Zuckerliköre „Maoritraum“ und „Sambalita“, für deren bloße Erwähnung man sich heute womöglich Ärger einzuhandeln droht, und es gab natürlich „Kristall Wodka“, dessen Beiname bald per Sinnspruch und in lallender Lyrik in den impliziten Widerstand ging: „Schön trinkt die DDR sich jeder Bürger / mit ‚ner Flasche Blauer Würger“.
Genau dies nun ist explizit nicht die Absicht von Gröschner, Mädler und Seemann. Zwar wollen sie sich „die Nächte um die Ohren schlagen und über den idealen Staat nachdenken. So weit der Auftrag und das Klischee“, zwar gehört tatsächlich zur Versuchsanordnung, lange Gespräche mit Sekt zu begleiten oder eben Wodka aus Russland, Polen, Deutschland. Doch bleibt das „Betrinken“ beiläufig, was für den Text und das Anliegen der Autorinnen als gesichert vorteilhaft eingestuft werden kann.
Denn dieses Buch ist ja kein klassisches Besäufnis jener Art, bei dem man nachts erst die Lösung für nicht weniger als sämtliche Probleme des Lebens und der Welt urplötzlich gelöst zu haben glaubt, bevor man sich dann am nächsten Morgen unter starken Kopfschmerzen an nichts mehr erinnern kann. Es ist eine sehr offene, den Gesprächspartnerinnen wie dem Publikum vertrauende gemeinsame Suche nach Prägungen des Ostens sowie eine Vermessung seiner Gegenwart, mündend übrigens in eine Beschwörung der „Geister der Zukunft“, von der gleich noch berichtet werden soll.
Durchaus ähnlich einem von Alkohol beschleunigten Gespräch aber ist der Band in seiner Atmosphäre. Es geht auch mal sprunghaft zu, wird kurz insiderisch, die Unterhaltungen setzen aus und wieder an, dazwischen Einschübe, Fußnoten, Gedichte. So ein gelegentliches Durcheinander aber ist die richtige Form in der Verhandlung von einem komplexen und uneindeutigem Gebilde wie der Frage, woher das definitorisch nach wie vor ungeklärte ostdeutsche Wir kommt, wie es beschaffen ist, und warum für viele Menschen nach wie vor gilt, was Wenke Seemann auf den so schmucklosen wie präzisen Satz bringt: „Wir kommen nirgendwo so richtig an.“
Gerade weil dieses Ankommen bislang ausgeblieben ist für ein „Wir“ signifikanter Größe, kann es anregend und heiter sein, als Leserin oder Leser sich hier mit an den Tisch zu setzen und zuzuhören, wie sich Gröschner, Mädler und Seemann in „DoFbsugdiS“ austauschen über ihre Elternhaushalte, Körperbilder oder Kontostände - teils bis auf den Cent genau. Die Autorinnen tragen Klischees über „Ostfrauen“ zusammen (sie seien unprätentiös, ließen Kinder schreien, hätten ein vergleichsweise natürliches Verhältnis zu ihrer Sexualität) und überprüfen diese zugleich jeweils an sich selbst auf Gültigkeit. Sie vergraben sich in Erinnerungen, um diese zu befragen, und öffnen ihr Gespräch zum Ende für Dritte, die sich in einem „Chor der Tsukumogami“ zusammenschließen, der auf eine offenbar im japanischen Volksglaube verankerte Idee zurückgeht. Wenn, in einem dezidiert nicht-revisionistischen Sinne, gewisse Geister artefaktisch wieder heraufbeschworen werden könnten, wie sähen die Geister der DDR aus?
Der Chor der von den Autorinnen Befragten liefert vielstimmige Antworten. Die Schriftstellerin Heike Geißler trägt bei, sie vermisse Brachen, der Literaturwissenschaftler Peter Böthig sagt, der einzige positive Geist, den er eventuell nennen könnte, wäre die Unwichtigkeit von Geld. Andere wie der Kunsthistoriker Matthias Flügge nehmen Bezug auf teils absurde öffentliche Verhandlungen des Ostens und kommen zu dem Schluss: „dieser ganze feuilletonscheiß hängt mir zum halse raus.“ Auch dafür lässt sich, selbst an dieser Stelle, ehrliches Verständnis aufbringen.
Manche lähmt die Aussicht, der Osten könnte im Herbst endgültig zum Brown Under werden
Und gerade deswegen ist „DoFbsugdiS“ bei allen kleineren Längen und der gelegentlichen Unsortiertheit ein komplett wohltuender Beitrag zum never ending Selbstgespräch des Ostens über den Osten. Zuletzt war dieses bestimmt gewesen durch unerbittliche Auseinandersetzungen um Sprecher- und Sprecherinnenpositionen oder durch, siehe Oschmann, einen gewissen Eindeutigkeitsfetisch. Wiederum noch andere lähmte die Aussicht, die eigene Heimat könnte sich im Herbst in Folge der Landtagswahlen endgültig zu einem Brown Under entwickeln, in dem fast sämtliche Hoffnung fahren geht.
Was hilft, gegen Dauerfrust und Doomsday-Denken, ist manchmal eben auch ein runder Holztisch, an dem jemand Ofengemüse und Salat reicht und an dem „es perlt in unseren Gläsern“. Die (Selbst-)Gespräche von Gröschner, Mädler und Seemann jedenfalls sind welche, die der Osten schon deswegen gut gebrauchen kann, weil es zum beständigen Suchen, beständigen Reden, ebenso beständigen Verzweifeln und trotzdem Weitermachen möglicherweise gar keine Alternative gibt.
Und es ist - ohne da jetzt gleich wieder einen Trend behaupten zu wollen - möglicherweise kein Zufall, dass nach dem monologischen Mit-dem-Fuß-aufstampfen-Best- und Longseller „Der Osten: eine westdeutsche Erfindung“ von Dirk Oschman nun mehrere Autorinnen auf die Bühne kommen, die Gesprächsfäden wieder aufnehmen und eher nach Wegen ins Neue suchen, statt ausschließlich herauszuarbeiten, wo und wie man in der Vergangenheit mal besser anders abgebogen wäre. Neben „DoFbsugdiS“ jedenfalls liegt schon vor Jessy Wellmers Titel „Die neue Entfremdung - Warum Ost- und Westdeutschland auseinanderdriften und was wir dagegen tun können“ und ist in den Verkaufslisten bereits beachtlich geklettert.
“Drei ostdeutsche Frauen betrinken sich und gründen den idealen Staat“ behauptet bei dieser Suche angenehmerweise nicht, jeden Weg schon zu kennen. Im Gegenteil, bei dem im Titel geführten „idealen Staat“ dürften alle, die der DDR biografisch oder lesend schon einmal wirklich begegnet sind, leisen Spott sofort mitlesen. Und das auf diesen Buchdeckel folgende Konglomerat aus Anekdoten, Besinnungen und kleinen Utopien ist womöglich das einzige Konstrukt in der Auseinandersetzung mit dem Osten, dessen Statik auch in den kommenden Jahren tragen wird.
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